Im November 2018 habe ich den Text zum "
Objekt des Monats" der Wienbibliothek im Rathaus geschrieben. Auf der Website der Bibliothek wird jeden Monat ein besonderes Objekt vorgestellt. Zum 100. Geburtstag von
Jeannie Ebner habe ich einen Brief von Jeannie Ebner an Mechthild Curtius vom 9. September 1974 ausgesucht. Er gibt zwar optisch nicht viel her (um es flapsig auszudrücken), enthält aber eine interessante Passage. Den Text gebe ich hier wieder, der Brief ist auf der
Bibliothekswebsite abgebildet.
Objekt des Monats November 2018: Über das Gedichteschreiben in einer Autowerkstätte - Zum 100. Geburtstag von Jeannie EbnerEine allzu romantische Vorstellung von Schriftstellern und Schriftstellerinnen: Sie können sich den ganzen Tag ihrer Kunst widmen, sich der Inspiration hingeben, den Musenkuss empfangen und die Texte nur so aus sich herausfließen lassen. Bei der Schriftstellerin Jeannie Ebner, die am 17. November 1918 geboren wurde, stellt sich das Bild ganz anders dar.
Neben ihrer schriftstellerischen Produktion stellte sie Souvenirs aus Keramik her, pflegte ihre Mutter, gab Englisch-Nachhilfe, verkaufte in der Nachkriegszeit das von ihrem späteren Mann Ernst Allinger erzeugte Saccharin am Schwarzmarkt, übernahm mit 21 Jahren die Leitung der familieneigenen Spedition mit 35 MitarbeiterInnen, arbeitete als Stenotypistin, Übersetzerin aus dem Englischen und ins Englische, Literaturkritikerin, gab die Zeitschrift "Literatur und Kritik" heraus, war über lange Strecken Alleinverdienerin und führte den Haushalt, förderte junge Kolleginnen und Kollegen, war Mitglied des Kultursenats des Landes Niederösterreich, Vizepräsidentin der IG Autorinnen Autoren und der Literarischen Verwertungsgesellschaft.
Nicht immer hatte dabei ihr berufliches Umfeld Verständnis für ihre künstlerische Arbeit, wie unser Objekt des Monats illustriert. In einem Brief an die deutsche Literaturwissenschaftlerin Mechthild Curtius vom 9. September 1974 beschreibt Ebner folgende aus heutiger Sicht amüsante Episode:
"Ich habe drei Jahre [1946-1949], schlecht bezahlt, in einer zugigen, dreckigen Autoreparaturwerkstätte [der US-amerikanischen Streitkräfte] gearbeitet, an der Schreibmaschine, die Füße auf einem Brett, weil da immer eine Wasserlache stand, mit täglich Kopfwehpulver, wegen leichter aber ständiger Kohlengasvergiftung im Winter. Die fünf Arbeiter und der sechste, der Klosett reinigte, aufkehrte ect. mochten mich. Sie haben sich geradezu ritterlich benommen, und ich war mit allen per Du. Eines Tages kam einer, der Franzi, in der Mittagspause zu mir, als ich eben ein Gedicht in der Schreibmaschine hatte. Er war entsetzt und sagte wörtlich: ‚Aber du warst doch immer ein anständiger Kerl, ein Bursch direkt, und jetzt machst Gedichte?! Schämst dich net?!‘ Er konnte es mir lang nicht verzeihen und ich mußte mir vor den anderen ständig mißbilligende oder spöttische Äußerungen darüber anhören".
Umgekehrt hatte auch Ebners literarisches Umfeld nicht immer Verständnis für die Zwänge des Brotberufs, wie sie Jahre später in ihrem Tagebuch notieren sollte:
"Unruhe, Hast, Hetzjagd. Keine Minute des Tages ohne Beschäftigung. Der Lavant-Film. Die Redaktion. Suchys Dokumentation. Die Freunde. Hausarbeit. Lesen. Literarische Veranstaltungen. Jeden Samstag und jeden Sonntag bis fünf Uhr nachmittags an der Schreibmaschine. Und immer noch fragen mich alle möglichen Leute vorwurfsvoll: Warum schreibst Du nichts mehr?".
Neben der Arbeit in der Autowerkstätte hatte Jeannie Ebner gerade begonnen, kleinere literarische Texte verschiedenen Zeitschriften anzubieten. Das war in der unmittelbaren Nachkriegszeit die einzige Möglichkeit, mit dem Schreiben zumindest ein kleines Honorar zu verdienen – die Verlage waren bei "junger Literatur" äußerst vorsichtig. Sie war so auch mit Hans Weigel und seinem "Stammtisch" im Café Raimund in Kontakt gekommen. Ihre allererste Publikation war die utopische Erzählung "Die Maschinenstadt", die 1948 in der (nur zwei Nummern erlebenden) Zeitschrift "Der Basilisk" erschien. 1951 bis 1954 unterstützte Ebner Weigels Jahrbuch "Stimmen der Gegenwart" durch Redaktions- und Sekretariatsarbeiten. In einem Artikel von Sandy Lang im "Standard" vom 17. November 1998 beschrieb sie ihre Aufgaben so:
"Ja, ich schlief da und dort, hatte keine Wohnung, nur im Café Raimund ein Postfach. Da landeten die Manuskripte für die Anthologien Stimmen der Gegenwart. Ich sortierte sie in 'Kaas', 'brauchbar', 'sehr gut'. So musste der Weigel nicht alles lesen".
In dieser vierbändigen Anthologie wurden unter anderem frühe Werke von
Friederike Mayröcker,
Ingeborg Bachmann und
Marlen Haushofer veröffentlicht; Ebner trug für den Jahrgang 1952 die Erzählung "Das Bett" bei. Zur selben Zeit brachte
Rudolf Felmayer einzelne Gedichte Ebners in der von ihm herausgegebenen Anthologie "Tür an Tür". 1952 erschien schließlich Ebners erste selbstständige Buchpublikation "Gesang an das Heute. Gedichte, Gesichte, Geschichten" als Band 9 der von Weigel betreuten Reihe "Junge österreichische Autoren".
Gedichte und kurze Prosatexte schrieb Jeannie Ebner zwischendurch, aber für ihren ersten Roman brauchte sie Zeit und Freiheit von Erwerbsarbeit. Ihr Mann gab ihr ein Jahr, um das Buch zu schreiben, und ein weiteres, um einen Verleger zu finden – das glückte, ihr erster Roman "Sie warten auf Antwort" mit surrealistischen und kafkaesken Anklängen erschien 1954 bei Sigbert Mohn in Gütersloh.
Der Brief ist Teil des umfangreichen Nachlasses Jeannie Ebners, der zwischen 1989 und 2004 in mehreren Tranchen an die Handschriftensammlung der Wienbibliothek kam. Auf dem Nachlass basiert das Buch "Die Unbeugsame. Über Jeannie Ebner" von Petra Ganglbauer, das im November 2018 im Mandelbaum-Verlag erscheint. [für das ich auch einen Beitrag geschrieben habe]